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Das blaue Grab (Ueberarbeitung)

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Die Leere klopfte in seinem Kopf. Sie klopfte dumpf und still. Mit dem Verlangen gefüllt zu werden. Er sehnte sich nach seinem Klavier, den Tasten, die ihn glauben ließen, die ihn lieben ließen und die ihn leben ließen. Die Töne, sie erweckten kleine Blumen zum Leben, die in ihm wuchsen. Kleine Blumen. Zerbrechlich klein und doch stark und bedeutungsvoll. Aber in seinem Kopf war nur Leere. Das Klavier war weg, die Blumen vertrocknet. Langsam ging er die Treppe hinauf. Stufe für Stufe. Er wusste gar nicht, wieso. Ohne jede Emotion, ohne jede Wahrnehmung hob er seinen Fuß auf die nächste Stufe. In ihm schwamm ein tristes Grau von Nichts. Sein Blick war trüb. Er wusste was nun kommt. Erneut ging er eine Stufe nach oben. Und lauschte dem vertrauten Knacken der Treppe. Sie war alt, sehr alt und so lang wie ein ganzes Leben. Das Holz war morsch, die Stufen knarrten, aber man sah noch die alten Schnitzereien, in deren Spalten neben Staub und Spinneweben noch immer Hoffnung lag. Sein Kopf aber, sein Kopf war leer und ein bisschen schwindlig war ihm auch. Er ging dennoch. Stufe für Stufe. Mit jedem Schritt, mit jeder Anstrengung vertrocknete eine weitere Blume in ihm. So blau wie der Himmel waren sie einst, nun sind sie grau. Die Leere trieb ihn voran. Eine weitere Stufe. Er wusste nicht wonach er suchte, aber war sich sicher, etwas zu finden. Das Knarren der Treppe war ihm so bekannt, so vertraut und er fühlte sich daheim, doch die Leere blieb. Er ging weiter und mit der Zeit fiel ihm jede Stufe leichter, denn er wusste dort oben würde etwas auf ihn warten. Sanft legte er seine alte, faltige Hand auf das weiche, dunkle Holz. Es fühlte sich so traut und familiär an, als reiche es ihm die Hand zurück. Er ging eine weitere Stufe hinauf. Am Ende der Treppe war eine Tür. Zwar war sie verschlossen, aber durch den Türschlitz sah er ein ihm entgegen fallendes, helles Licht und er war sich sicher dort, hinter dieser Tür würde er finden, wonach er suchte. Er fühlte nichts. Die Leere nahm ihm all seine Gedanken und Emotionen. Das einzige was er wusste war, er musste diese Tür öffnen. Seine knochigen Beine liefen ungewohnt leicht die Treppe hinauf. Schritt für Schritt – ganz sanft und zart. Eine letzte Stufe, dann hat er die Tür erreicht. Noch den alten modrigen Geruch in der Nase, machte er den letzten Schritt und öffnete langsam die Tür. Es durchdrang ihn eine Welle von Helligkeit und Wärme und die Leere in seinem Kopf schwand dahin. Er konnte kaum etwas sehen, so hell war es. Er lief hinein ins Nichts, in die unbekannte Helligkeit. Er hatte keine Angst. Er konnte nichts sehen oder hören, aber Angst hatte er nicht. Es kribbelte leicht auf seiner Haut und er wusste, hier gehörte er hin. Er lief weiter, bis er schließlich an ein Fenster kam. Er schaute hinaus, doch sah nichts außer Himmel. Hellblauer, leuchtender Himmel. Plötzlich bemerkte er eine leise Melodie. Er schob das Fenster nach oben. Ja – es war sein Klavier. Es waren die Töne, die er so vermisst hatte. Das Lied, was er einst schon in der Wiege hörte. Er stieg auf die Fensterbank und ließ seine alten, schweren Beine in der Luft baumeln. Er schloss die Augen. Ihm wurde etwas schwindlig, aber das störte ihn nicht. Er wusste genau, so war es bestimmt. Er fühlte wie sein Körper nach vorne wankte, doch anstatt dagegen anzukämpfen, ließ er sich fallen. Ganz langsam. Und er fiel und fiel. Er spürte seinen Herzschlag im ganzen Lein pulsieren und merkte, wie sich sein Körper langsam verkrampften wollte. Doch er konnte nicht. Er war zu schwach, um seine Muskeln anzuspannen, so ließ er sich einfach fallen. Und so fiel er und fiel, und trieb dahin wie eine Feder im Wind. Eine ganze Weile lang spielte der Wind mit ihm und irgendwann verlor er sich im Nichts. Dann aber öffnete er die Augen und bemerkte, dass er noch am Leben ist. Er flog in die Weite. Nichts war da. Er konnte nichts sehen. Alles war so neblig, eine einzige blaugraue Masse, wie ein Meer, in dem er flog. Die Melodie seines Klaviers wurde lauter und lauter. Er folgte ihr. Sein Herz sprang und tanzte vor Freude. Schließlich verlor er an Höhe und unter einer großen alten Eiche sah er es, sein Klavier, umgeben von tausend blauen Blumen. Er flog hinab und setzte sich auf das alte, etwas verdreckte Polster des Stuhls und legte seine Finger auf die Tasten. Es war wie ein „Hallo". Ein Wiedersehen zweier Liebender. Er spielte sein Lieblingsstück, dann legte er sich ins Gras, zwischen die Blumen und schaute in dieses blaue Meer. Noch immer spielte das Klavier sein Lied. Er fühlte sich glücklich und beruhigt und mit dem letzten Ton, der noch in seinen Ohren hallte, erstarrte sein Blick ins blaue Meer und die blauen Blumen wurden zu seinem Grab.
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